Eine Entdeckung in den Kommentaren
Als ich kürzlich über regionale Wolle schrieb und was passieren müsste, damit sie mehr in den Fokus rückt, kam ein Kommentar, der mich stutzig machte: „Die DDR hatte damals viel bessere Wolle als heute.“
Ich war skeptisch. In 14 Jahren, in denen meine Schwiegereltern aus der DDR mir Geschichten von der Mauer bis zum Trabant erzählt haben, fiel nie ein Wort über Wolle. Keine einzige DDR-Geschichte, die ich aus Berlin oder der Familie kannte, hatte mich auf so etwas vorbereitet.
Aber seit 2015 beschäftige ich mich mit regionaler Wolle und merkte schon damals, wie klein dieses Thema hierzulande geworden war. In den letzten 10 Jahren tat sich viel, aber noch lange nicht genug. Also recherchierte ich – und war fassungslos.
Was ich entdeckte, ist eine der beeindruckendsten Erfolgsgeschichten der deutschen Landwirtschaft – und gleichzeitig eine der größten verpassten Chancen der Nachwendezeit. Eine Geschichte, die zeigt, dass Deutschland einmal Weltspitze in der Wollproduktion war.
Das DDR-Wollwunder: Als Deutschland Weltklasse produzierte
Ein systematisches Zuchtprogramm ohne Beispiel
1950 startete die DDR eines der ambitioniertesten Schafzuchtprogramme der Welt. Es war nicht einfach nur Landwirtschaft – es war angewandte Wissenschaft mit klarem Ziel: Hochwertige Wolle für die heimische Textilindustrie und den strategisch wichtigen Export.
Die Grundlage bildete das Merino-Langhaar-Zuchtprogramm. Durch systematische Kreuzung von Merinolandschaf mit Nordkaukasischem Fleischwollschaf, Corridale und Leicester Longwool entstand eine völlig neue Schafrasse – das Merinolangwollschaf. Eine Rasse, die es so nur in der DDR gab und die speziell für deutsche Klimabedingungen und Wollqualitätsanforderungen entwickelt wurde.
Was dieses Programm besonders machte, war seine wissenschaftliche Herangehensweise. 1971 wurde flächendeckend künstliche Besamung eingeführt – eine Technologie, die in der westdeutschen Schafzucht erst Jahrzehnte später Standard wurde. Dadurch konnten präzise die besten Böcke für maximale Wollleistung selektiert werden. Jede Paarung war geplant, jeder Zuchtschritt dokumentiert.
Die beeindruckenden Zahlen einer Erfolgsgeschichte
Die Ergebnisse sprachen eine klare Sprache: Merinolangwollschafe produzierten bis zu 6 Kilogramm Wolle pro Tier und Jahr. Zum Vergleich: Deutsche Schafe schaffen heute im Durchschnitt gerade einmal 3 Kilogramm. Das DDR-Zuchtprogramm erreichte damit das Doppelte der heutigen Leistung.
Aber es ging nicht nur um Quantität. Das Qualitätsziel war ehrgeizig: 22-28 Mikron Finesse bei einer Reinwollausbeute von 3,11 Kilogramm pro Schaf im Plansoll. Diese Werte entsprechen dem, was heute als absolute Spitzenqualität gilt – vergleichbar mit australischer Merinowolle oder englischen Longwools.
Zur Hochzeit des Programms grasten 2,65 Millionen Schafe auf DDR-Weiden. Mehr als heute in ganz Deutschland leben (1,8 Millionen). Diese Herden produzierten jährlich 9.000 Tonnen Schafwolle – etwa die Hälfte des heimischen Textilbedarfs der DDR. Eine beachtliche Selbstversorgungsquote für ein Land, das bei Rohstoffen ansonsten stark importabhängig war.
